Rezension
Die Erweiterung auf dem Prüfstand
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Barry Adams bespricht zwei kürzlich erschienene Bücher zur Erweiterung der NATO
Der britische Dichter Alexander Pope schriebeinmal, Liebende „träumen in der Zeit des Werbens, erwachen jedochin der Ehe“. Das gleiche könnte man – zumindest laut Zoltan Barany– von der NATO sagen, als sie nach der Erweiterung 19 Mitgliederhatte. Seine Abhandlung mit dem Titel The Future of NATOExpansion: Four Case Studies (Cambridge University Press,2003) ist eine regelrechte Litanei über die Mängel der neuenNATO-Mitglieder – sowohl der derzeitigen als auch der künftigen –und eine inständige Bitte, nicht zu wiederholen, was er als dieFehler der Erweiterungsrunde von 1999 bezeichnet. Durch denBeitritt Bulgariens, Estlands, Lettlands, Litauens, Rumäniens, derSlowakei und Sloweniens zeigte sich am 29. März dieses Jahres, dasser tauben Ohren gepredigt hatte.
Die erste Erweiterungsrunde nach dem Ende desKalten Krieges wies laut Barany, einem Professor der UniversitätTexas, insofern Mängel auf, als Polen, die Tschechische Republikund Ungarn den mit der Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungennicht nachgekommen waren, aber trotzdem vom Bündnis als Mitgliederakzeptiert wurden. Gegenüber den vier Staaten (Bulgarien, Rumänien,Slowakei, Slowenien), die Barany in seinem Buch behandelt, wirdsogar eine noch kritischere Haltung deutlich. Und er klagt über dieallzu große Nachsicht, die ihnen die NATO-Zentrale entgegenbringt.Um hier Abhilfe zu schaffen, schlägt Barany u.a. vor, denWashingtoner Vertrag zu ändern und ein Verfahren für den Ausschlussvon Mitgliedern einzuführen, die ihre Verpflichtungen nichteinhalten. In dieser Hinsicht und bei anderen spezifischen Aspektenim Zusammenhang mit der Bündnispolitik lässt der Autor eineungenügende Vertrautheit mit offiziellen und insbesondere mitinformellen Arbeitsweisen der NATO erkennen.
Die methodische Vorgehensweise und dieForschungsergebnisse Baranys stützen sich allerdings auf einesolide Grundlage. Zu Beginn erläutert er klar und deutlich seinenAnsatz, wobei er dem Leser zunächst eine hervorragende Übersichtüber die gängigsten Argumente für und gegen die Erweiterung bietetund dann die Struktur seiner Fallstudien definiert. Auf diese Weisebefasst er sich mit den Rahmenbedingungen jedes untersuchtenStaates (Innenpolitik, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit undSicherheitslage), mit den Bemühungen um die NATO-Mitgliedschaft,mit dem Stand der zivil-militärischen Beziehungen und dem Stand derMilitärreform. So verbindet Barany auf elegante und sachkundigeWeise drei in der Regel getrennte Forschungsbereiche: Umgestaltungdes Regierungssystems, Analyse innenpolitischerBeschlussfassungsverfahren und Reform des Verteidigungssektors. Mitdiesem Datenmaterial füllt er eine Lücke, denn die NATOveröffentlicht im Gegensatz zur Europäischen Union keineJahresberichte über den Stand der Dinge in den beitrittswilligenStaaten.
Barany verwendet bei seiner gewissenhaftenUntersuchung eine Vielzahl von Interviews und Dokumenten undfördert so kaum bekannte Einzelheiten zutage. Paradoxerweise werdendie positiven Auswirkungen des Erweiterungsprozesses jedoch umsodeutlicher erkennbar, je nachdrücklicher der Autor darauf hinweist,dass es den Kandidaten nicht gelungen ist, ihren schon vor demBeitritt geltenden Verpflichtungen uneingeschränktnachzukommen. So erfährt der Leser, dass das Streben nach derNATO-Mitgliedschaft entscheidend dazu beitrug, im Jahr 2002 dieWiederwahl Vladimir Mecirs zu verhindern, Slowenien zu einemgrößeren Engagement auf dem Balkan zu bewegen und die rumänischenGesetze zum Schutz von Minderheiten zu verbessern. Darüber hinauswirkt die abschätzige Haltung Baranys im Hinblick auf diemilitärischen Fähigkeiten der neuen Mitglieder angesichts derEntwicklungen der letzten Zeit nicht überzeugend; man denke z.B. andas Ausmaß der polnischen Präsenz in Irak, an die führende Rolleder Tschechischen Republik in dem neuen NATO-Bataillon zur Abwehrvon ABC-Waffen und von radiologischen Waffen sowie an denbeträchtlichen Beitrag aller neuen Bündnismitglieder zuFriedensoperationen unter der Führung der NATO. Wie Barany selbsteinräumt, können die meisten bisherigen NATO-Mitglieder Ziele wieeinen dreiprozentigen Anteil des Verteidigungshaushalts am BSP garnicht erreichen. Dadurch dass er Fortschritte sozusagen nach demBuchstaben des Gesetzes beurteilt, läuft er Gefahr, denrevolutionären Charakter der jetzigen Umgestaltung in Mittel- undOsteuropa zu übersehen und den Gesamtüberblick zuverlieren.
Als Herausgeber von Ambivalent Neighbors– The EU, NATO and the Price of Membership (CarnegieEndowment, 2003) verfolgen Anatol Lieven und Dmitri Trenin einenanderen Ansatz. So legt Dmitri Trenin, der wie Anatol Lieven beider Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden tätig ist, inseiner Einleitung dar, dass es keine institutionelle Alternativemehr zu einem von der EU und der NATO dominierten Europa gibt. Inder Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, einer Ära ohneMarshallplan und große Konferenzen, in der „kühne und klugeStaatsmänner nirgends aufzutreiben sind“, ist die Erweiterung derwestlichen Staatengemeinschaft zum „Äquivalent einerNachkriegsregelung“ geworden. Mit Hilfe dieses konzeptionellenFilters versuchen die Autoren von Ambivalent Neighbors inihren Beiträgen die Perspektiven und Interessen aller Akteuredarzustellen, von der Europäischen Union über die NATO und dieneuen Mitglieder bis hin zu den Staaten, die noch nicht aufgenommenworden sind. Anstatt die Staaten einfach erneut auf der Grundlageder bestehenden Konzepte mit dem Stempel „Ost“ bzw. „West“ zuversehen, spricht Trenin davon, dass sich unter ihnen eine neuegemeinsame Identität, die Identität „Nord“, herausbilden müsse. Diezentrale Frage dieses Werkes lautet damit, wie man diesen „Norden“am besten erreichen und die derzeitigen Niveauunterschiedeausgleichen kann. „Europa“ ausschließlich auf der Grundlage deruneingeschränkten Erfüllung derzeitiger EU- bzw.NATO-Mitgliedschaftskriterien zu definieren scheint keineangemessene Vorgehensweise zu sein. Die Akteure müssen vielmehreine umfassende und flexible Vision eines „geeinten und freienEuropas“ entwickeln, wenn die etablierten Demokratien des Westensdie schwierigen Probleme der Zeit nach dem 11. September 2001 inden Griff bekommen wollen und die noch nicht aufgenommenen Staatenangesichts ihrer enormen wirtschaftlichen und politischenHerausforderungen nicht einfach sich selbst überlassen werdensollen.
Wie es nur allzu häufig bei Sammlungen vonBeiträgen einer heterogenen Autorengruppe der Fall ist, sind auchdie Beiträge dieses Werkes von unterschiedlicher Qualität. Nochschlimmer ist, dass einige Beiträge eindeutig überholt waren, alsdas Buch schließlich herauskam. Trotzdem findet jeder, der sich mitder Erweiterung der NATO eingehender befassen will, in diesem Werkgenug interessantes und stimulierendes Material.
Mit Hilfe von Beispielen sowohl aus derersten als auch aus der zweiten Erweiterungsrunde nach dem Ende desKalten Krieges bietet Karl-Heinz Kamp von derKonrad-Adenauer-Stiftung einen Einblick in die Arbeit der NATO. Erbeschreibt diese Organisation als im Wesentlichen konservativ undals ein Bündnis, das nur zögernd dazu bereit war, Russland vor denKopf zu stoßen und sich mit dem Beitrittswunsch der baltischenStaaten zu befassen. Seiner Meinung nach mussten einige nationaleund bündnisinterne Faktoren zusammenkommen, bevor die zweiteErweiterungsrunde möglich wurde. Auf der einen Seite wurde dieSache von den politischen Schwergewichten der NATO forciert. Aufder anderen Seite musste die NATO als Bündnis beurteilen, ob dieKandidaten die gemeinsam bestimmten Mitgliedschaftskriterienerfüllt hatten. Kamp befasst sich recht ausführlich mit demrussischen Widerstand gegen eine Erweiterung des Bündnisses undgeht – wenn auch skeptisch – auf die Frage einer eventuellenrussischen Mitgliedschaft in der NATO ein. Er weist auch jedeBesorgnis wegen einer Schwächung der Effizienz eines Bündnisses mit26 oder noch mehr Mitgliedern zurück und hebt hervor, dass dieEuropäische Union und die NATO ihre Erweiterungspolitikkoordinieren müssten.
Drei Autoren beschreiben die Situation derBeitrittsstaaten. Die Lettin Zaneta Ozolina, Professorin fürinternationale Beziehungen, berichtet über die Erfahrungen derbaltischen Republiken, die nach der Erlangung der Unabhängigkeitdurch die gemeinsame sowjetische Erblast auch noch dann miteinanderverbunden blieben, als sie um die beste Ausgangsposition für ihreIntegration in Europa wetteiferten. Nachdem die baltischen Staatenzunächst versucht waren, von den wirtschaftlichen Vorteilen zuprofitieren, die sich an der Schnittstelle zwischen Ost und Westergeben würden, orientierten sie sich 1998 nach dem finanziellenZusammenbruch Russlands eindeutiger in Richtung auf den Westen.Politisch war die Entscheidung klarer. Sie ergab sich zwingend ausihrer Größe, da kleinere Staaten internationale Prozesse nurbeeinflussen können, „wenn sie sich größeren Gruppen oderBündnissen von Staaten mit ungefähr gleichen Zielen anschließen“.Dieser Notwendigkeit stand der Wunsch kleiner Staaten entgegen,ihre kulturelle Eigenart und die neu gewonnene Souveränität vor demzu schützen, was Konservative und Nationalisten als „Verwässerung,Korrumpierung oder sogar Zerstörung der spezifisch baltischenKulturen durch ihr Eintauchen in die weitaus größere und reichereEuropäische Union“ bezeichnen würden. Diese Befürchtungen wurdennicht gerade durch die beharrliche Forderung des Westensabgemildert, dass die baltischen Republiken den Status der großenrussischen Minderheiten verbessern müssten, und verstärkt wurdensie noch durch Probleme im Zusammenhang mit der Privatisierung, derrückständigen Landwirtschaft und dem insgesamt ländlichen Charakterder Region.
Wie Christopher Bobinski als Herausgeber einereigenen Zeitschrift und ehemaliger Korrespondent der FinancialTimes erklärt, beruhte das polnische Streben nach einerAufnahme in westliche Institutionen auf einer Mischung ausSicherheitsanliegen, dem Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklungund einer eindeutig europäischen kulturellen Identität. Dies führtezunächst zu einer überwältigenden Unterstützung der Mitgliedschaftseitens der polnischen Öffentlichkeit, die allmählich einerkritischeren und sogar skeptischen Haltung weichen musste. Bobinskibeschreibt den Gegensatz zwischen dem „diskreten“ Beitritt zur NATOund den EU-Verhandlungen, die fast ausnahmslos in einer „Atmosphäreoffener Auseinandersetzungen über die Bedingungen derMitgliedschaft“ geführt würden „und sich daher direkt auf dieHaltung der Öffentlichkeit gegenüber der EU-Mitgliedschaftauswirkten“. Von nahezu gleicher Bedeutung war die sich änderndeEinstellung gegenüber der Kultur des Westens, die von konservativenGruppierungen zunehmend als „atheistisch und dekadent“ betrachtetwurde. Bobinski befasst sich auch recht ausführlich mit der Dynamikder Mitgliedschaft und bringt die Zweifel seiner Landsleute an denEntwicklungen der jüngsten Zeit zum Ausdruck, z.B. an der stärkerenEinbeziehung Russlands in die NATO nach dem 11. September 2001, ander sich herausbildenden europäischen Sicherheits- undVerteidigungspolitik (ESVP) und an den Reformplänen der EUbezüglich der Gemeinsamen Agrarpolitik. Er bezeichnet die Besorgnisunter den neuen Mitgliedern sehr treffend als die Folge einer„Falle, die sie sich selbst gestellt haben“, denn „ gerade durchihren Beitritt drohen sie diese Organisationen zu verwässern und sozu verändern, dass sie ihren Mitgliedern in Zukunft nicht mehr diegleichen Vorteile bieten können“ wie bisher.
Die Beiträge über diejenigen Staaten, diederzeit keine klaren Beitrittspläne haben, führen zu äußerstheftigen Kontroversen und sind zugleich besonders aufschlussreich.Charles King von der Georgetown-Universität (Washington, D.C.)befasst sich mit den Hindernissen auf dem Weg Rumäniens und derRepublik Moldau in die euro-atlantische Integration, wobei derVergleich dieser beiden Staaten an sich schon als wenig sinnvollerscheint, da sie sich hinsichtlich ihrer nationalen Identität,ihrer Haltung gegenüber Europa und dem tatsächlich erreichten Gradihrer Integration sehr stark voneinander unterscheiden. Erbeschreibt, wie die Unterstützung der Europäischen Union und derNATO seitens der Öffentlichkeit in der Republik Moldau Anfang der90er Jahre teilweise zunichte gemacht wurde, während sich das Landauf Moskau zubewegte. Im Gegensatz dazu blieb die rumänischeUnterstützung für die Europäische Union und die NATO auf demgleichen Niveau; drei Viertel der rumänischen Bevölkerung sprechensich für die EU-Mitgliedschaft aus – die Hälfte von ihnenbedingungslos – und zwar trotz der Tatsache, dass Bukarest beiwesteuropäischen Meinungsumfragen zur Popularität derEU-Beitrittskandidaten stets an letzter Stelle steht. King stelltdazu fest: „Die Europäer sind nicht annähernd so enthusiastischeAnhänger Rumäniens, wie die Rumänen Europaanhänger sind.“ Hierverweist er auf die Besorgnis des Westens, die sich aus dempolitischen Kurs dieses Landes, aus dem radikalen Nationalismus derGroß-Rumänien-Partei und aus der Behandlung von Minderheitenergibt. Die Schlussfolgerung Kings, der zufolge „weder Rumäniennoch die Republik Moldau in absehbarer Zeit Mitglieder derEuropäischen Union werden“, ist überholt und bedarf derDifferenzierung. Während Rumänien inzwischen der NATO beigetretenist und einen klaren Zeitplan für die EU-Mitgliedschaft hat,scheint sich die Republik Moldau im Niemandsland zwischen der vonRussland dominierten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) unddem Westen verirrt zu haben.
Die öffentliche Meinung und die offiziellePolitik stehen, wie Leonid Zaiko vom weißrussischenForschungsinstitut „Strategie“ in seiner Studie zu Weißrusslandfeststellt, häufig im Gegensatz zueinander; in der weißrussischenBevölkerung beobachtet er eine umso deutlichere Befürwortung derDemokratie und der freien Marktwirtschaft, je stärker derautoritäre Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko,Weißrussland vom Westen abgrenzt. Trotzdem muss der Westen dienegativen Assoziationen in Verbindung mit der stürmischenVergangenheit des Landes hinter sich lassen und mit Russland, demmächtigen Nachbarn, um Einfluss ringen, denn Russland ist in derweißrussischen Wirtschaft und in den Medien sehr stark vertreten.Das Ergebnis ist eine Außenpolitik mit einem eindeutigen Hang inRichtung Russland – eine Tendenz, die laut den Prognosen Zaikoswahrscheinlich noch durch die negativen Auswirkungen derEU-Erweiterung auf den Handel, die Reisemöglichkeiten und diepolitische Lage in Minsk verstärkt wird. Abschließend weist erwarnend darauf hin, dass es eine schlechte und gefährliche Politiksei, Weißrussland zu ignorieren oder einfach als einengescheiterten Staat abzuschreiben.
Sowohl Alexander Motyl von derRutgers-Universität in New Jersey als auch James Sherr von derKöniglichen Verteidigungsakademie Sandhurst sprechen in Verbindungmit ihrer Analyse der ukrainischen Außenpolitik ähnliche Warnungenaus. Wie im Fall Weißrusslands sieht Motyl ernste Probleme voraus,die sich aus der faktischen Schließung der Grenze zum Westeninfolge der polnischen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen vonSchengen ergeben. Darüber hinaus äußert er die Befürchtung, dassein Ausschluss eine Auslieferung an Russland bedeuten könne, dasüber besser funktionierende Institutionen sowie über einbeeindruckendes Arsenal von „weichen“ Machtmitteln verfügt. Erbeschreibt dann drei negative Szenarien für die möglicheEntwicklung der Ukraine, falls diesem Land nicht die Aussicht aufdie Mitgliedschaft in westlichen Strukturen gebotenwird.
Die Kosten, die damit verbunden sind, dieUkraine nicht zu integrieren, sind der Ausgangspunkt für dieÜberlegungen Sherrs. Vor diesem Hintergrund vergleicht er dieverschiedenen Ansätze der Europäischen Union und der NATO imHinblick auf Partnerschaftsprogramme. Aus der Sicht Sherrs hat dasPartnerschaftsprogramm des Bündnisses in der Regel zur Folgegehabt, dass Partnerstaaten, einschließlich der Ukraine, näher andie westlichen Institutionen herangeführt wurden, während dieEuropäische Union, die durch das Ende des Kalten Krieges wenigertief greifend verändert wurde, „weiterhin ein altesErweiterungsmodell anwendet“, das sich als eine Methode zurVerlegung von Grenzen in Richtung Osten erweisen könnte. Obwohl dieEuropäische Union noch nichts eingeführt hat, was demKooperationsprogramm der NATO entsprechen würde, auf dessenGrundlage im Jahr 2000 beachtlicherweise insgesamt 500 gemeinsameVeranstaltungen der NATO und der Ukraine durchgeführt wurden, hoffter, dass sich dies durch die zunehmende Bedeutung ändern wird, dieder Sicherheitspolitik in der EU zukommt. Im Hinblick auf dieinnenpolitische Lage stellt Sherr fest, dass die Bevölkerung derUkraine zwar insgesamt eine weniger negative Haltung erkennen lässtals die russische Öffentlichkeit, aber „gegenüber der NATO deutlichskeptischer eingestellt ist als die Führungselite des Landes;dagegen hat die russische Elite eine deutlich kritischere Haltunggegenüber der NATO als die Bevölkerung allgemein“. Trotz einigerProbleme begann 1999 eine intensive Phase der Zusammenarbeitzwischen der NATO und der Ukraine, in deren Mittelpunkt die Reformdes Verteidigungssektors stand. Sherr bietet dem Leser einehervorragende Analyse dieser Zusammenarbeit und fordert den Westendazu auf, sich derartige Kanäle der Einflussnahme offen zu haltenund zugleich die „ukrainischen Zielvorstellungen bezüglich Europasernst zu nehmen“.
Eine Analyse der Erweiterung kann nicht ohnedie Einbeziehung Russlands vollständig sein. Wladimir Baranowskivom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und internationaleBeziehungen untersucht in seinem Beitrag die sich änderndenAuffassungen von „Europa“ einerseits und Russland andererseits.Obwohl er zu Beginn klar und deutlich erklärt, dass dieNotwendigkeit der Zusammenarbeit an die Stelle der Konfrontationdes Kalten Krieges getreten ist, hält er fest, dass die Beziehungenzum Westen nicht mehr durch den Idealismus der frühen 90er Jahre,sondern durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet sind. Trotzdemhält er die „pro-europäischen Argumente aus der Sicht der Mehrheitder an dieser Debatte beteiligten Kommentatoren im Großen undGanzen für attraktiver, weil man davon ausgeht, dass Russland eherin Europa als in anderen Regionen als wichtiger Akteur akzeptiertwird. Baranowski bietet dem Leser eine ausgewogene Darstellung derentscheidenden Meilensteine in der Geschichte der Beziehungenzwischen der NATO und Russland: die anfängliche Ambivalenz Jelzinsgegenüber der Erweiterung, die spätere Formulierung einesumfassenden, wenn auch widersprüchlichen innerrussischen Konsensesgegen die Erweiterung, die Verhandlungen, die im Mai 1997 zurGrundakte führten, und schließlich die Auswirkungen derKosovo-Operationen der NATO von 1999. Leider bezieht er aber in dieAnalyse der pragmatischen Haltung des russischen PräsidentenWladimir Putin gegenüber dem Bündnis nicht die Entwicklungen derletzten Zeit ein, wie z.B. die Verbesserung der Beziehungenzwischen der NATO und Russland, die sich nach dem 11. September imRahmen des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus und imZusammenhang mit dem NATO-Russland-Rat ergeben hat.
Inzwischen ist schon die zweiteErweiterungsrunde nach dem Ende des Kalten Krieges abgeschlossenworden. Jetzt sind am Tisch des Nordatlantikrats 26 Bündnispartnerversammelt, und alle 26 plus Russland arbeiten im NATO-Russland-Ratzusammen. Jeder Zeuge der Zeremonie, in deren Rahmen die Flaggender sieben neuen Mitglieder zum ersten Mal offiziell vor derNATO-Zentrale gehisst wurden, wird weder das Ereignis selbst nochdie damit verbundenen starken Gefühlsregungen vergessen können. Fürviele der anwesenden Vertreter der neuen Mitgliedstaaten war jenerTag die Belohnung für mehr als zehn Jahre Arbeit. Zugleich war erjedoch nur der Anfang eines ganz neuen Kapitels sowohl in derGeschichte dieser Staaten als auch in der Geschichte deseuro-atlantischen Raumes insgesamt. Gehen wir noch einmal auf diescharfzüngige Äußerung Popes über die Zeit des Werbens und die Zeitder Ehe zurück und vergleichen die Mitgliedschaft mit der Ehe, somüssen nun wohl die Bündnispartner – die alten wie die neuen –dafür sorgen, dass die Verbindung hält.
Barry Adams ist in Moskau als Forscher für„American Councils for International Education“ tätig und war vonSeptember 2002 bis März 2004 bei der NATObeschäftigt.