Erklärung

des Amtierenden Vorsitzenden der OSZE,<br />Bundesrat Flavio Cotti

  • 11 Dec. 1996 - 01 January 0001
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  • Last updated 05-Nov-2008 03:45

Herr Vorsitzender,
liebe Kolleginnen und Kollegen
Vorerst gratuliere ich dem Nordatlantischen Kooperationsrat zu seinem fünften Geburtstag. Die Gründung des Rates war ein erster entscheidender Schritt der NATO zur Überwindung des geteilten Europas und zur Bewältigung der Hinterlassenschaft des Kalten Krieges.

Ich habe als scheidender Vorsitzender im Rahmen der OSZE am 22. November in Wien und am jüngsten Gipfel in Lissabon ausführlich Bilanz gezogen über die OSZE und ihre Aktivitäten. Die beiden Berichte sind Ihnen ausgeteilt worden. Hier möchte ich mich auf wenige Aspekte beschränken.

Das diesjährige Engagement der OSZE stand weitgehend im Zeichen der Umsetzung des Friedensabkommens für Bosnien und Herzegowina. Die Überwachung der Vorbereitung und Durchführung der allgemeinen Wahlen, aber auch die Fragen betreffend der Menschenrechte und die Massnahmen zur militärischen Stabilisierung der Region, waren die grösste operationelle Herausforderung der OSZE, gleichzeitig aber auch eindrückliches Beispiel für die Möglichkeiten unserer Organisation, die mit doch sehr beschränkten Mitteln und bescheidenen und unbürokratischen Strukturen arbeitet.

Die Wahlen vom 14. September waren ein erster Schritt auf dem langen, steinigen Weg zur Versöhnung und zur Demokratie in Bosnien. Sie wären ohne die direkte Mithilfe der IFOR unmöglich gewesen. Ich danke der IFOR für die enge erfolgreiche Zusammenarbeit. Für die OSZE hat in der nun folgenden Konsolidierungsphase die Überwachung der zu Recht verschobenen Munizipalwahlen erste Priorität, sie werden zum nächsten Test für Fortschritte im Friedensprozess. Auch hier wird nur das Zusammenwirken aller bei der Planung und Umsetzung des Wahlprozesses zum Erfolg führen. Ich danke der neuen Stabilisation Force (SFOR) zum voraus für ihre un-abdingbare Unterstützung. Alle Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft würden sich aber als vergeblich erweisen, ohne die Bereitschaft der betroffenen Parteien, in gutem Glauben zusammenzuarbeiten. Ich sage dies, ohne Ihnen meine Enttäuschung zu verbergen, weil sich herausstellt, dass gewisse Parteien, und ich beziehe mich hier insbesondere auf Pale, die dabei gleichzeitig ihren Willen bekräftigen, das Abkommen von Dayton einzuhalten, weiterhin auf die ethnische Teilung hinarbeiten.

Neben Bosnien konnte die OSZE durch ihre Beistandsgruppe in Grozny wesentlich zum Friedensprozess in Tschetschenien beitragen. Dies war dank der konstruktiven Haltung der Russischen Föderation möglich.

Die Bewältigung von Konflikten und Spannungen zwischen nationalen Mehrheiten und Minderheiten bleibt vordringliche präventivdiplomatische Aufgabe der OSZE. Die Langzeitmissionen, der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten haben namentlich in Lettland, in der Ukraine und in Moldawien Fortschritte erzielen können.

Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, Fortschritte bei den Bemühungen um eine Lösung im Konflikt um Nagorno-Karabach zu erzielen. Immerhin konnten in Lissabon mit der Unterstützung aller ausser einem Mitgliedstaat die Grundsätze für eine politische Lösung festgelegt werden. Es sind diese das Prinzip der territorialen Integrität Aserbaidschans und eine weite Autonomie für die Bevölkerung von Nagorno-Karabach.

In der Diskussion über ein Sicherheitsmodell für das 21. Jahrhundert in Europa ist mit der Verabschiedung der Erklärung am Gipfel in Lissabon eine erste Etappe abgeschlossen worden. Die gesamteuropäische Sicherheitszusammenarbeit soll namentlich durch folgende konkrete Massnahmen verbessert werden:

durch die gemeinsame Umsetzung der demokratischen Werte, durch solidarische Antworten auf Bedrohungen und Verletzungen der Verpflichtungen, durch Beistand zur Verbesserung des Minderheitenschutzes, durch weitere Verhandlungen im Bereich der Rüstungskontrolle.

Konkret beschlossen wurde die Ausarbeitung einer Plattform, in welcher Grundsätze und Verfahren für die zukünftige Zusammenarbeit festgelegt werden sollen. Die Sicherheitskooperation soll in einer europäischen Sicherheitscharta ihren Ausdruck finden.

Der erste substantielle Gedankenaustausch der Staats- und Regierungschefs in Lissabon musste in bezug auf die Realisierung des Modells eine Reihe von Fragen offen lassen. Soll der OSZE ein rechtliches Statut gegeben werden, sollen ihre Entscheidungsverfahren etwa durch die Schaffung eines Sicherheitsausschusses gestärkt, sollen weitere rechtliche Instrumente geschaffen werden? Wie soll das Peace-Keeping, wie soll die Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung zwischen den andern Organisationen konkret gestaltet werden? Das sind einige der Fragen, die beim dialektischen Meinungsaustausch der weiteren Arbeiten zur Diskussion stehen werden, denn,

meine Damen und Herren,

die Diskussion ist nicht abgeschlossen, sie wird im Sinne eines Prozesses weitergehen. Die Resultate hängen weitgehend auch von Entwicklungen ab, die in anderen Organisationen, wie etwa der NATO, stattfinden. Es geht beim Sicherheitsmodell vor allem auch um den Einbezug und die Mitwirkung Russlands.

Aber wir sind uns bewusst, dass es ganz bestimmt andere Wege gibt, die Sicher-heit auf unserem Kontinent zu festigen. Das Sicherheitsmodell ist eine von mehreren Möglichkeiten. Als Amtierender Vorsitzender habe ich es mir aber zu einer prioritären Pflicht gemacht, es der Debatte zu erlauben, sich so vollständig und so weit wie möglich für dieses Thema mit grundsätzlicher Bedeutung für unsere gemeinsame Zukunft zu öffnen. Das Schicksal der OSZE hängt vom einstimmigen Willen der Teilnehmerstaaten ab. Die OSZE bleibt eine flexible Organisation, die es versteht, sich den verschiedenen Situationen anzupassen. Erst die Zukunft wird zeigen, ob die OSZE in der künftigen Sicherheitszusammenarbeit eine nur ergänzende oder ob die OSZE eine wichtigere Rolle spielen wird.

Für die Schweiz war es eine Ehre, der OSZE vorzusitzen. Diese Präsidentschaft wollte beweisen, dass mein Land, angesichts der grossen strategischen Veränderungen der jüngsten Geschichte, solidarisch und offen zur Bewältigung der neuen Herausforderungen beitragen will. Wir werden unser Engagement weiterführen. Als weiteres Zeichen dafür werde ich noch heute, zu einem späteren Zeitpunkt, das Rahmenabkommen über die Partnerschaft für den Frieden unterzeichnen. Ich freue mich darüber.