Die Lage in und um Kosovo

Erklärung anläßlich des außerordentlichen Treffens des Nordatlantikrats auf Ministerebene

  • Press Release (1999)051 051
  • Issued on 12 April 1999
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  • Last updated 06-Nov-2008 01:41

  1. Die Krise im Kosovo stellt eine grundlegende Herausforderung der Werte der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit dar, für die die NATO seit ihrer Gründung eintritt. Wir stehen geeint in unserer Entschlossenheit, dieser Herausforde-rung erfolgreich zu begegnen.
  2. Die Bundesrepublik Jugoslawien hat wiederholt Resolutionen des Si-cherheitsrats der Vereinten Nationen verletzt. Der hemmungslose Angriff durch jugoslawische Streitkräfte, die Polizei und paramilitärsche Kräfte unter der Leitung von Präsident Milo-sevic auf Zivilpersonen im Kosovo hat zu einer gewaltigen humanitären Katastrophe ge-führt, die auch die angrenzende Region zu destabilisieren droht. Mehrere hunderttausend Menschen wurden rücksichtslos durch die Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo vertrieben. Wir verurteilen diese erschreckenden Verletzungen der Menschen-rechte und die blinde Gewaltanwendung durch die jugoslawische Regierung. Diese extreme und verbrecherische, unverantwortliche Vorgehensweise, die durch nichts zu ver-treten ist, hat die Militäraktion durch die NATO notwendig gemacht und rechtfertigt sie.
  3. Die Militäraktion der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien unter-stützt die politischen Ziele der internationalen Gemeinschaft: ein friedliches, multi-ethni-sches und demokratisches Kosovo, in dem alle seine Bewohner in Sicherheit leben und die weltweit geltenden Menschenrechte und Freiheiten gleichermaßen genießen können. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Erklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 9. April und die Schlußfolgerungen des EU-Rats vom 8. April.
  4. Die Luftschläge der NATO werden fortgeführt, bis Präsident Milo-sevic den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nachkommt. Präsident Milosevic weiß, was er zu tun hat. Er muß:
    • eine verifizierbare Beendigung aller Militäraktionen und das sofortige Ende von Gewalt und Unterdrückung sicherstellen;
    • den Abzug der militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo gewährleisten;
    • der Stationierung einer internationalen Militärpräsenz im Kosovo zustimmen;
    • der vorbehaltlosen und sicheren Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen sowie dem ungehinderten Zugang humanitärer Hilfsorganisationen zu diesen Menschen zustim-men;
    • glaubhafte Garantien für seine Bereitschaft bieten, auf der Grundlage der Abkom-men von Rambouillet an der Erstellung einer politischen Rahmenvereinbarung für Kosovo hinzuarbeiten, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Na-tionen.
  5. Die Verantwortung für die gegenwärtige Krise trägt Präsident Milosevic. Es liegt in seiner Macht, die Militäraktion der NATO zu beenden, indem er die legitimen Forderungen der internationalen Gemeinschaft unwiderruflich erfüllt.
  6. Wir unterstreichen, daß die NATO keinen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien führt. Wir haben keinen Streit mit den Menschen der Bundesrepublik Jugoslawiens, die schon zu lange aufgrund der Politik ihrer Regierung in Europa isoliert sind.
  7. Wir sind für die tatkräftige Unterstützung durch unsere Partnerstaaten in der Region und darüber hinaus der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der Krise dankbar.
  8. Die Allianz hat mit Rußland ein gemeinsames Interesse an einer politischen Lösung der Krise im Kosovo und will im Geiste der Grundakte mit Rußland konstruktiv auf dieses Ziel hinarbeiten.
  9. Infolge der fortgesetzten Politik der ethnischen Säuberung durch Präsident Milosevic suchen mehrere hunderttausend Menschen Zuflucht in Nachbarländern, besonders in Albanien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien ª . Andere blei-ben im Kosovo, notleidend und unerreichbar für internationale Hilfe. Diese Menschen im Kosovo kämpfen ums Überleben - erschöpft, hungrig und verzweifelt. Wir werden Präsi-dent Milosevic und die Führung in Belgrad für das Wohl aller Zivilisten im Kosovo ver-antwortlich machen.
  10. Die NATO und ihre Mitglieder haben unverzüglich auf diesen Notstand reagiert. Wir haben mit unseren Partnern das Euro-atlantische Koordinierungszentrum für Katastrophenhilfe aktiviert. NATO-Kräfte in der ehemaligen jugoslawischen Republik Ma-zedonien haben Notunterkünfte für Flüchtlinge errichtet und diese Menschen versorgt. NATO-Truppen werden auch nach Albanien verlegt, um die humanitären Anstrengungen dort zu unterstützen und den albanischen Behörden bei der Schaffung eines sicheren Um-felds für diese Menschen zu helfen. Wir werden unsere humanitären Hilfsoperationen für Flüchtlinge im Zusammenwirken mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), bei der die Hauptzuständigkeit auf diesem Gebiet liegt, fortsetzen und weiter intensivieren. Die von der NATO geführten Lufttransportoperationen zur humanitären Hilfe der Flüchtlinge, sowohl für Albanien als auch die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, sind bereits angelaufen und werden weiter erhöht. Die von der NATO einge-leiteten Schritte und die Anstrengungen anderer internationaler Organisationen und Stellen, einschließlich der Europäischen Union, ergänzen und unterstützen sich gegenseitig.
  11. Wir würdigen die Leistung der Männer und Frauen der NATO-Streitkräfte, deren Einsatz und Professionalität den Erfolg der militärischen und humanitären Operatio-nen des Bündnisses sicherstellen.
  12. Die Greueltaten der Streitkräfte, der Polizei und paramilitärischen Kräfte der Bundesrepublik Jugoslawien an den Menschen im Kosovo verletzen das Völkerrecht. Jene, die für die systematische Kampagne der Gewalt und Zerstörung gegenüber unschuldigen Zivilisten im Kosovo und die gewaltsame Deportation mehrerer hunderttausend Flücht-linge verantwortlich sind, werden für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen. Die mit Haftbefehl Gesuchten müssen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und den ein-schlägigen VN-Sicherheitsratsresolutionen vor den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag gestellt werden. Die Bündnispartner bekräfti-gen, daß es ohne Gerechtigkeit keinen dauerhaften Frieden geben kann.
  13. Die NATO hat wiederholt erklärt, daß die Bedrohung der territorialen Inte-grität, politischen Unabhängigkeit und Sicherheit Albaniens und der ehemaligen jugoslawi-schen Republik Mazedoniens durch die Bundesrepublik Jugoslawien unannehmbar sein würde. Wir haben mit beiden Ländern enge Konsultationen auf hoher Ebene über ihre spe-ziellen Besorgnisse geführt. Wir werden auf jede Beeinträchtigung der Sicherheit Albani-ens und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedoniens reagieren, die durch die Bundesrepublik Jugoslawien aufgrund der Präsenz von NATO-Kräften und deren Aktivitä-ten auf dem Territorium dieser Länder erfolgen sollte.
  14. Wir sind besorgt über die Lage in der Republik Montenegro. Wir bekräfti-gen unsere Unterstützung der demokratisch gewählten Regierung von Präsident Milo Djukanovic, die mehrere zehntausend Vertriebene aus dem Kosovo aufgenommen hat. Präsident Milosevic sollte keinen Zweifel daran hegen, daß jedes Vorgehen gegen Präsi-dent Djukanovic und seine Regierung schwerwiegende Folgen haben wird.
  15. Die Kosovo-Krise unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden An-satzes zur Stabilisierung der Krisenregion in Südosteuropa und der Integration der Länder dieser Region in die euro-atlantische Gemeinschaft. Wir begrüßen die EU-Initiative eines Stabilitätspakts für Südosteuropa unter der Schirmherrschaft der OSZE sowie weitere re-gionale Anstrengungen, einschließlich der südosteuropäischen Kooperationsinitiative. Wir wollen den Sicherheitsdialog zwischen der NATO und den Ländern der Region zur Gestal-tung einer dynamischen Partnerschaft stärken und haben dem Ständigen Rat Weisung er-teilt, dazu Maßnahmen zu entwickeln. Wir verleihen der Hoffnung Ausdruck, daß die Be-völkerung Serbiens eines Tages normale Beziehungen zu allen Völkern des Balkans wie-derherstellen kann. Wir wollen, daß alle Länder Südosteuropas in Frieden und Sicherheit leben können.

ª Die Türkei erkennt die Republik Mazedonien mit ihrem verfassungmäßigen Namen an.