NATO–Russland-Beziehungen: Eine neue Qualität

Erklärung der Staats- und Regierungschefs <br />der NATO-Mitgliedsstaaten und der Russischen Föderation

  • 28 May. 2002 - 01 January 0001
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  • Last updated 03-Nov-2008 21:10

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben wir in einer neuen, von engen Wechselwirkungen geprägten Welt, in der völlig neuartige Bedrohungen und Herausforderungen in zunehmendem Maße gemeinsame Reaktionen erforderlich machen. Daher schlagen wir, die Mitgliedsstaaten der Nordatlantikpakt-Organisation und der Russischen Föderation, heute eine neue Seite in unseren Beziehungen auf, mit der Zielsetzung, unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit in gemeinsamen Interessensbereichen zu verbessern und uns gemeinsamen Herausforderungen und Gefahren für unsere Sicherheit geschlossen zu stellen. Als Mitunterzeichner der Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit bekräftigen wir die darin festgelegten Ziele, Prinzipien und Verpflichtungen, insbesondere unsere Entschlossenheit, gemeinsam dauerhaften Frieden für alle im euro-atlantischen Raum auf den Grundsätzen der Demokratie und kooperativer Sicherheit sowie dem Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit aller Staaten der euro-atlantischen Gemeinschaft aufzubauen. Wir sind davon überzeugt, dass eine qualitativ neue Beziehung zwischen der NATO und der Russischen Föderation ein essentieller Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels sein wird. Dazu werden wir unsere Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, der Bestimmungen und Prinzipien der Schlussakte von Helsinki sowie der Europäischen Sicherheitscharter der OSZE nach Treu und Glauben erfüllen.

Aufbauend auf der Grundakte und unter Berücksichtigung der von unseren Außenministern auf den Weg gebrachten Initiative, wie in ihrer Erklärung vom 7. Dezember 2001 zum Ausdruck gebracht, nämlich die Mitgliedsstaaten der NATO und Russland zusammenzubringen, um Möglichkeiten für gemeinsame Aktionen zu 20 zu sondieren und wahrzunehmen, rufen wir hiermit den NATO-Russland-Rat ins Leben. Im Rahmen des NATO-Russland-Rats werden die Mitgliedsstaaten der NATO und Russland als gleichberechtigte Partner in gemeinsamen Interessengebieten zusammenarbeiten. Der NATO-Russland-Rat wird für die Mitgliedsstaaten der NATO und Russland als Forum für Konsultationen, Konsensbildung, Zusammenarbeit, gemeinsame Entscheidungsfindung sowie gemeinsame Aktionen über ein breites Spektrum sicherheitsbezogener Fragen im euro-atlantischen Raum dienen.

Der NATO-Russland-Rat wird als Träger und Forum für die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen der NATO und Russland dienen. Er wird nach dem Prinzip der Konsensbildung arbeiten, und zwar auf der Grundlage eines fortlaufenden politischen Dialogs seiner Mitglieder über Sicherheitsfragen, um sich abzeichnende Probleme rechtzeitig zu erkennen, optimale gemeinsame Lösungswege festzulegen und gemeinsame Aktionen durchzuführen, wo angezeigt. Die Mitglieder des NATO-Russland-Rats, die in ihrer Eigenschaft als nationale Vertreter und nach Maßgabe ihrer jeweiligen kollektiven Zusagen und Verpflichtungen handeln, werden gemeinsame Entscheidungen treffen und individuell und gemeinschaftlich gleichermaßen für die Umsetzung dieser Entscheidungen verantwortlich sein. Jedes Mitglied kann im NATO-Russland-Rat Fragen ansprechen, die sich auf die Umsetzung gemeinsam getroffener Entscheidungen beziehen.

Den Vorsitz im NATO-Russland-Rat übernimmt der NATO-Generalsekretär. Der Rat trifft zwei Mal im Jahr auf Ebene der Außen- und Verteidigungsminister zusammen und auf Ebene der Staats- und Regierungschefs, wo angezeigt. Treffen des Rats auf Ebene der Botschafter finden mindestens ein Mal pro Monat statt, mit der Möglichkeit häufigerer Treffen, sofern erforderlich, einschließlich außerordentlicher Treffen, die auf Antrag eines jeden Mitglieds oder des Generalsekretärs einberufen werden können.

Zur Unterstützung und Vorbereitung der Treffen des Rates wird ein spezieller Ausschuss (Preparatory Committee) im Rahmen des Politischen Ausschusses der NATO eingerichtet, mit russischer Vertretung auf entsprechender Ebene. Dieser Vorbereitungsausschuss trifft zwei Mal im Monat zusammen, oder bei Bedarf auch häufiger. Der NATO-Russland-Rat kann auch Ausschüsse oder Arbeitsgruppen zu einzelnen Themenbereichen oder Feldern der Zusammenarbeit als Ad-hoc-Gremien oder als ständige Einrichtungen einsetzen, wo angezeigt. Solche Ausschüsse und Arbeitsgruppen greifen auf die Ressourcen der bestehenden NATO-Ausschüsse zurück.

Unter der Ägide des Rates kommen auch militärische Vertreter und Stabschefs zusammen. Treffen der Stabschefs finden mindestens zwei Mal pro Jahr und Treffen der militärischen Vertreter mindestens ein Mal pro Monat statt, mit der Möglichkeit häufigerer Treffen, wo angezeigt. Treffen von Militärexperten können bei Bedarf einberufen werden.

Der NATO-Russland-Rat, der an die Stelle des Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rats tritt, wird sich schwerpunktmäßig mit allen gemeinsamen Interessensbereichen befassen, die in Teil III der Grundakte festgelegt sind, einschließlich weiterer Bereiche, die im gegenseitigen Einverständnis hinzukommen. Die im Dezember 2001 für den Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat und seine nachgeordneten Gremien angenommenen Arbeitsprogramme für das Jahr 2002 werden unter der Ägide und Geschäftsordnung des NATO-Russland-Rats weiter implementiert. Die Mitgliedsstaaten der NATO und Russland werden ihre Zusammenarbeit in diesen Bereichen weiter intensivieren, unter anderem auch im Kampf gegen den Terrorismus, im Krisen-Management, in der Nichtverbreitung, Rüstungskontrolle und in vertrauensbildenden Maßnahmen, in der taktischen Raketenabwehr, im Such- und Rettungsdienst auf See, in der praktischen militärischen Zusammenarbeit und zivilen Notfällen. Diese Zusammenarbeit kann die Kooperation in anderen Foren ergänzen. Als erste Schritte dazu haben wir heute vereinbart, die folgenden Kooperationsanstrengungen weiterzuführen:

  • Kampf gegen den Terrorismus: Verstärkung der Zusammenarbeit durch einen vielschichtigen Ansatz, einschließlich gemeinsamer Beurteilungen der terroristischen Bedrohung des euro-atlantischen Raums, mit Schwerpunkt auf spezifische Bedrohungen, so zum Beispiel für Streitkräfte Russlands und der NATO, für zivile Luftfahrzeuge oder kritische Infrastruktureinrichtungen; in einem ersten Schritt wird eine gemeinsame Beurteilung der terroristischen Bedrohung für friedenserhaltende Kräfte der NATO, Russlands und der Partner auf dem Balkan in Angriff genommen.
  • Krisen-Management: Verstärkung der Kooperation, unter anderem auch durch: den regelmäßigen Austausch von Standpunkten und Informationen über friedenserhaltende Operationen, einschließlich fortlaufender Zusammenarbeit und Konsultationen im Zusammenhang mit der Lage auf dem Balkan; Förderung der Interoperabilität zwischen nationalen friedenserhaltenden Kräftekontingenten, auch durch gemeinsame oder aufeinander abgestimmte Ausbildungsinitiativen; und Weiterentwicklung eines generischen Konzepts für gemeinsame friedenserhaltende Operationen der NATO und Russlands.
  • Nichtverbreitung: Erweiterung und Verstärkung der Kooperation im Kampf gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel sowie Beitrag zur Stärkung bestehender Nichtverbreitungsverträge durch: einen strukturierten Meinungsaustausch, der zu einer gemeinsamen Beurteilung globaler Proliferationstendenzen bei nuklearen, biologischen und chemischen Einsatzmitteln führen soll; sowie einen Erfahrungsaustausch mit der Zielvorgabe, Möglichkeiten der intensivierten praktischen Zusammenarbeit zum Schutz gegen nukleare, biologische und chemische Einsatzmittel zu sondieren.
  • Rüstungskontrolle und Vertrauensbildende Maßnahmen: Unter Rückbesinnung auf die Beiträge der Rüstungskontrolle und Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) zur Stabilität im euro-atlantischen Raum und unter Bekräftigung des Festhaltens am Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), als einem der Eckpfeiler für Sicherheit in Europa, Fortsetzung der Zusammenarbeit zur Ratifizierung der Vereinbarung über die Anpassung des KSE-Vertrags durch alle Signatarstaaten und zu seinem Inkrafttreten, um es Nicht-KSE-Staaten zu ermöglichen, dem Vertragswerk ebenfalls beizutreten; Fortführung von Konsultationen über den KSE-Vertrag sowie den Vertrag über den Offenen Himmel; ferner Fortsetzung der Konsultationen von Nuklearexperten aus der NATO und Russland.
  • Taktische Raketenabwehr: Erweiterung der Konsultationen zur taktischen Raketenabwehr, insbesondere über diesbezügliche Konzepte, terminologische Fragen, Systeme und Systemfähigkeiten, um mögliche Ebenen der Interoperabilität zwischen den jeweiligen taktischen Raketenabwehrsystemen zu analysieren und Möglichkeiten zur intensivierten praktischen Zusammenarbeit zu sondieren, einschließlich gemeinsamer Ausbildungsvorhaben und Übungen.
  • Such- und Rettungsdienst auf See: Überwachung der Umsetzung des NATO-Russland-Rahmendokuments über die Rettung von Unterseeboot-Mannschaften und weitere Förderung der Zusammenarbeit, der Transparenz und des Vertrauens zwischen der NATO und Russland auf dem Gebiet des Such- und Rettungsdienstes auf See.
  • Praktische militärische Zusammenarbeit und die Verteidigungsreform: Fortführung der erweiterten praktischen militärischen Zusammenarbeit und Steigerung der Interoperabilität durch erweiterte gemeinsame Ausbildung und Übungen sowie die Durchführung gemeinsamer Demonstrations- und Testvorhaben. Sondierung der Möglichkeit zur Einrichtung eines integrierten militärischen Ausbildungszentrums der NATO und Russlands für Missionen zur Begegnung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Erweiterung der Kooperation in Fragen der Verteidigungsreform und damit zusammenhängender wirtschaftlicher Aspekte, einschließlich der Konversion.
  • Zivile Notfälle: Fortentwicklung erweiterter Mechanismen für die zukünftige NATO-Russland-Kooperation zur Reaktion auf zivile Notfälle. Erste Schritte werden den Austausch von Informationen über Katastrophenfälle der jüngsten Vergangenheit umfassen sowie den Austausch von Informationen über die Bewältigung der Folgen nach einem Einsatz von Massenvernichtungswaffen.
  • Neue Bedrohungen und Herausforderungen: Zusätzlich zu den vorstehenden Bereichen, die Sondierung von Möglichkeiten zur Begegnung neuer Herausforderungen und Bedrohungen des euro-atlantischen Raums im Rahmen der Aktivitäten des NATO-Ausschusses für die Herausforderungen der Modernen Gesellschaft; Beginn der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der zivilen und militärischen Kontrolle des Weltraums; sowie Fortführung der erweiterten wissenschaftlichen Zusammenarbeit.

Die Mitglieder des NATO-Russland-Rats werden gemeinschaftlich darauf hinarbeiten, weitere Felder der Zusammenarbeit zu identifizieren.