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Updated: 27-Oct-2005 NATO Speeches

Berlin

26 October 2005

“Fünfzig Jahre deutsche Bundeswehr, fünfzig Jahre Deutschland im Bündnis“

Secretary General’s speech at the German Bundestag Berlin,
26 october 2005

Herr Präsident,

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Lassen Sie mich Ihnen zunächst für die Einladung danken, heute vor Ihnen zu sprechen. Sie geben mir damit die Gelegenheit, der deutschen Bundeswehr nicht nur zu ihrem 50-jährigen Bestehen zu gratulieren, sondern ihr auch den ausdrücklichen Dank der NATO und aller ihrer Mitgliedstaaten auszusprechen. Dieser Dank gilt allen Soldaten der Bundeswehr - ob sie ihren Dienst in Deutschland geleistet haben oder anderswo, ob als Wehrpflichtige oder als Berufssoldaten. Diese Armee ist einer der Grundpfeiler der Atlantischen Allianz – und damit ein Grundpfeiler nicht nur für die Sicherheit Deutschlands, sondern für unser aller Sicherheit.

Die Beziehung zwischen Bundeswehr und Bündnis ist ohne Zweifel von einer besonderen Qualität. Es ist eine enge – fast möchte man sagen, symbiotische – Beziehung. Und sie hat sich als eine Erfolgsgeschichte herausgestellt.

Vor fünfzig Jahren, als diese Geschichte begann, ließ sich dies alles natürlich noch nicht absehen. Zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren Wiederbewaffnung und NATO-Beitritt für einen nicht unbedeutenden Teil der deutschen Bevölkerung Schritte in die falsche Richtung – zurück in eine militärische Vergangenheit, die man hinter sich lassen wollte.

Glücklicherweise gab es aber auch die, die das anders gesehen haben. Nämlich diejenigen, für die die Aufstellung der Bundeswehr und der NATO-Beitritt Deutschlands keinen Schritt zurück bedeuteten, sondern einen Schritt nach vorne. Die erkannten, daß Deutschlands Zukunft auch davon abhing, dass es seinen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas, aber damit auch seiner eigenen Freiheit leistete.

Diesen Beitrag zu leisten, ihn aber zugleich auf eine Weise zu leisten, die anderen nicht bedrohlich erschien, war eine enorme Herausforderung. Im Rahmen des atlantischen Bündnisses hat Deutschland diese Herausforderung angenommen – und den Test mit Bravour bestanden.

Die Bundeswehr war eine neue Armee. Sie wurde zu einer Armee mit „Staatsbürgern in Uniform“. Einer Armee, die sich von Anfang an als Bündnisarmee verstand. Einer Armee schließlich, die nicht nur viele Skeptiker im eigenen Land überzeugen konnte, sondern sich auch sehr schnell einen hervorragenden Ruf in unserer Allianz erwarb.

Wie die Bundeswehr, so war auch die NATO etwas radikal Neues. Ein dauerhaftes Bündnis, keine kurzfristige Zweckallianz. Vor allem aber: eine Allianz nicht nur der gemeinsamen Interessen, sondern auch der gemeinsamen Werte. Man hat daher auch schon bald von der NATO als einer „Sicherheitsgemeinschaft“ gesprochen – eine Gemeinschaft zwischen den Demokratien Nordamerikas und Europas, die bis heute weltweit einzigartig ist.

Die transatlantische Solidarität im Bündnis hat dazu beigetragen, daß aus dem Kalten Krieg nie ein heißer Krieg wurde. Und als sich dann das Ende des Ost-West-Konflikts abzeichnete, war die NATO das politische Symbol für die feste Verankerung Deutschlands in der transatlantischen Wertegemeinschaft, das Bekenntnis gegen frühere Schaukel- oder Gleichgewichtspolitik.

Daß es ein deutscher NATO-Generalsekretär war, der diese epochalen Umbrüche zum Ende des Kalten Krieges mitgestalten konnte, war eine besonders glückliche Fügung. Mit Manfred Wörner hatten die NATO, Deutschland und die Bundeswehr den richtigen Mann am richtigen Ort zur rechten Zeit.

Die enge Beziehung zwischen der Bundeswehr und der Atlantischen Allianz hat sich auch nach dem Ende des Kalten Krieges fortgesetzt. Und sie ist nirgendwo deutlicher zum Ausdruck gekommen als bei dem Engagement der NATO auf dem Balkan. Im Rahmen dieses Engagements konnte Deutschland dem Wunsch der gesamten internationalen Staatengemeinschaft nach Übernahme von mehr Verantwortung entsprechen. Dies war ein großer Schritt. Im NATO-Rahmen wurde möglich, was bis dahin unmöglich schien – deutsche Soldaten auf dem Balkan, die der Region zu einer besseren Zukunft verhelfen.

Auch heute, in einem Zeitalter, das manche das „Zeitalter des Terrorismus“ nennen, bleiben die Bundeswehr und die NATO aufeinander angewiesen. Als Deutschland und die Niederlande vor einigen Jahren gemeinsam den Vorschlag machten, der NATO den Oberbefehl über die Internationale Schutztruppe in Afghanistan zu übertragen, haben sie maßgeblich zur Fortentwicklung des Bündnisses – und damit auch der Bundeswehr – beigetragen. NATO und Bundeswehr sind heute keine „eurozentrischen“ Instrumente mehr. Sie sind zu Instrumenten geworden, die wir überall dort einsetzen können, wo dies zur Verteidigung unserer gemeinsamen Werte und Interessen erforderlich ist.

Das ist ein dramatischer Wandel im Selbstverständnis der NATO wie auch der Bundeswehr. Sicherlich gibt es manche – auch hier unter uns – die sich fragen, ob der Einsatz von Streitkräften in weit entfernten Regionen dieser Welt tatsächlich unseren sicherheitspolitischen Bedürfnissen entspricht. Meine Antwort ist ein eindeutiges „ja“. Sicherheitsvorsorge heute heißt Projektion von Stabilität – auch und gerade in Regionen, die außerhalb Europas liegen. Im Zeitalter der Globaliserung ist die Unterscheidung in „nahe“ und „ferne“ Bedrohungen längst obsolet geworden. Entweder wir begegnen den Problemen dort, wo sie entstehen, oder diese Probleme kommen früher oder später zu uns.

Kein Staat kann es sich deshalb heute noch erlauben, Streitkräfte zu unterhalten, die alleine der Territorialverteidigung dienen. Wir brauchen Streitkräfte, die schnell reagieren und über große Entfernungen hinweg zum Einsatz gebracht werden können. Wir brauchen Soldaten, die das gesamte Spektrum vom Kampfeinsatz bis zur Friedenserhaltung abdecken können. Und wir brauchen Streitkräftestrukturen, die so beschaffen sind, daß mehr Soldaten für Auslandsmissionen bereitgestellt werden können.

Das alles sind hohe Anforderungen, die wir an unsere Streitkräfte stellen. Deshalb schulden wir unseren Streitkräften unsere Unterstützung – politisch, moralisch, aber auch finanziell. Vor allem aber schulden wir ihnen, sie in der gesellschaftlichen Debatte nicht alleine zu lassen. Unsere Soldaten haben ein Anrecht darauf, bei der Ausübung ihres gefährlichen Auftrags auf Politik und Öffentlichkeit gleichermaßen zählen zu können.

Herr Präsident,

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Die Bundeswehr und die NATO – beide verkörpern die Lehren aus der tragischen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beide setzen dem Nationalismus und Fanatismus eine Alternative entgegen: gemeinsame demokrati­sche Werte, Frieden und Freiheit, Menschenrechte, Solidarität und Zusammenarbeit. Diese Alternative ist es, die wir auch heute verteidigen müssen – mit den besseren Argumenten, aber notfalls nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.

NATO und Bundeswehr sind heute ohne einander nicht mehr denkbar. Beide – Bundeswehr und Atlantische Allianz – sichern den Frieden heute nicht mehr durch Abschreckung, sondern durch aktive Friedensoperationen dort, von wo Gefahren drohen. Lassen Sie uns gemeinsam diese Erfolgsgeschichte weiterschreiben.

Ich danke Ihnen.

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