Rede
des Sonderkoordinators
des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Bodo Hombach,
beim Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat
Meine Damen und Herren, Exzellenzen,
Ich danke für die Gelegenheit, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen.
Am 10. Juni letzten Jahres wurde mit der UNSR-Resolution 1244 die Militäraktion
Kosovo eingestellt. Wie immer nach kriegerischen Konflikten gab es den
politischen Schwur: Nie wieder! Am gleichen Tag hat der Stabilitätspakt
als umfassender Ansatz präventiver Diplomatie für Südosteuropa
ein breites Mandat erhalten. Von der EU, der OSZE, der G 8, der NATO und
einer Vielzahl anderer Staaten und Institutionen.
Mit dem Stabilitätspakt hat sich die internationale Gemeinschaft
endlich zu einer angemessenen und zukunftsorientierten Antwort auf die
großen Fragen verstanden, die das vergangene Jahrzehnt aufgeworfen
hat: Wie lassen sich gewaltsame Konflikte, Krieg und Vertreibung in Südosteuropa
mit Aussicht auf Erfolg verhindern, wie wirtschaftliche und soziale Mißstände
dauerhaft bekämpfen?
Ich habe vielen von Ihnen hier im Raum persönlich zu danken. Sie
haben den Stabilitätspakt vor einem Jahr in Köln auf den Weg
gebracht. Sie haben sich der dort eingegangenen Verantwortung seither
in vorbildlicher Weise gestellt. Stets habe ich bei Ihnen ein offenes
Ohr gefunden. Oft genügte ein Telefonanruf, wenn esgalt, Hindernisse
kurzfristig aus dem Weg zu räumen, Ressourcen zu mobilisieren oder
politische Rivalitäten zu überwinden. Die Erfolge des Stabilitätspakts
sind Ihre Erfolge.
Unsere gemeinsame Aufgabe ist gewaltig: die nachhaltige Stabilisierung
Südosteuropas. Bitte gewähren Sie dem Stabilitätspakt weiterhin
Ihre - das Maß der politischen Routine sprengende - persönliche
Unterstützung! Er verdient sie und er braucht sie.
Meine Damen und Herren,
NATO und Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat gehören zu den Schlüsselpartnern
des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Unsere strategischen
Ziele sind identisch, wir ziehen am gleichen Strang: Demokratie und Wohlstand,
dauerhafter Friede und Stabilität in der Region, regionale Zusammenarbeit,
Integration der Länder Südosteuropas in die euro-atlantischen
Institutionen. Unsere gemeinsame Vision ist ein demokratisches, geeintes
Europa ohne politische und wirtschaftliche Gräben.
Das Ende der Geschichte war nicht erreicht, wie einige dies vor 10 Jahren
vorausgesagt hatten. Viele Menschen in Südosteuropa waren dankbar,
daß es die NATO gab, als die Konflikte in Südosteuropa diese
These widerlegten. Dankbar, daß sie eingriff und das Morden in Bosnien
und Kosovo, die ethnische Vertreibung, den Frontalangriff des Belgrader
Regimes gegen die Werte der zivilisierten Welt stoppte und die dauerhafte
Destabilisierung der gesamten Region verhinderte.
Die NATO hat auch bewiesen, daß der von anderer Seite propagierte
Satz vom "Zusammenprall der Kulturen" nicht den ihm unterstellten
Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Die Allianz war da, als es um
die Verteidigung der fundamentalen Menschenrechte von Muslimen ging. In
Bosnien spät. Rechtzeitig im Kosovo. Sie hat gezeigt, daß sie
die universalen menschlichen Werte über kulturelle und religiöse
Grenzen hinweg zu schützen bereit ist.
Diese gewaltsamen Konflikte sind bewältigt. Der Frieden aber muß
noch gewonnen werden. Auch hier hat die Allianz zusammen mit der EU, der
OSZE, ihren Partnern im EAPR eine wichtige Rolle zu spielen. Neben der
OSZE ist die NATO der sicherheitspolitische Hauptakteur in Südosteuropa.
Ich danke für die Friedensarbeit, die SFOR und KFOR täglich
leisten.
Naturgemäß stützt sich der Stabilitätspakt im Sicherheitsbereich
maßgeblich auf die Beiträge von Allianz und EAPR auf dem Gebiet
der Stabilitätsprojektion und Krisenprävention in Südosteuropa.
Die Aktivitäten im Rahmen der Südosteuropa-Initiative, wie die
ad-hoc-Arbeitsgruppe Regionale Zusammenarbeit in Südosteuropa im
Rahmen des EAPR, Partnerschaft für den Frieden, der jetzt auch Kroatien
angehören wird, der Membership Action Plan stärken die Sicherheit
in Südosteuropa - durch regionale Zusammenarbeit, Sicherheitsdialog
und die Heranführung der Länder der Region an die euro-atlantischen
Strukturen.
Die Ausweitung der EAPR-Aktivitäten auf die Bereiche der Konfliktverhütung
und -nachsorge, vor allem in den Bereichen der humanitären Minenräumung
und der Vernichtung von Kleinwaffen entsprechen der Schwerpunktsetzung
des Stabilitätspakts. Besonders begrüße ich, daß
im Rahmen des Stabilitätspakts NATO und andere Partner jetzt auch
zusammen an der Entwicklung einer Initiative zugunsten "Disaster
Preparedness und Prevention" arbeiten. Die grenzüberschreitende
Verhinderung und Bekämpfung ziviler Notstände entspricht einem
dringenden Bedürfnis in der Region.
Dies ist ein erster Anfang bei der Neudefinition von Sicherheitsrisiken
im weiteren Sinn, dem weitere Schritte folgen müssen. Lassen Sie
uns daher alsbald auch einen Dialog darüber beginnen, wie sich die
Staaten Südosteuropas in den gesamteuropäischen Prozeß
der Streitkräftereform einschalten können. Ich denke, daß
der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat einen ausgezeichneten Rahmen darstellt,
diese Themen aufzunehmen und zu vertiefen. Ich möchte Sie ausdrücklich
ermuntern, diesen Mechanismus zu nutzen, nicht zuletzt deshalb, weil er
über die Region Südosteuropas hinausreicht.
Beispielhaft für die neuen Synergien, die der Stabilitätspakt
geschaffen, steht das Projekt von NATO und Weltbank zur Umschulung und
Eingliederung von demobilisiertem Personal der Streitkräfte Rumäniens
und Bulgariens in den zivilen Arbeitsmarkt. Es ist die erste derartige
Zusammenarbeit der beiden Institutionen.
Dieses Projekt illustriert gleichzeitig auch die Philosophie des Stabilitätspaktes:
Zum einen leistet die Verschlankung und Professionalisierung von Streitkräften
einen direkten Beitrag zur Schaffung von Sicherheit. Zum anderen wird
durch Schulungsmaßnahmen auch in die wirtschaftliche Zukunft der
betroffenen Länder investiert. Wir betrachten dieses Projekt als
Modell, das später auf andere Staaten übertragen werden kann.
Meine Damen und Herren,
Natürlich sind die verbleibenden Probleme, insbesondere in Bosnien
und Herzegowina wie im Kosovo immens. Die Situation in der Bundesrepublik
Jugoslawien gibt Anlaß zu Besorgnis. Gerade komme ich aus Montenegro,
wo ich mir ein Bild von der schwierigen Lage verschafft habe. Der friedliche
Übergang zu demokratischen Verhältnissen in Belgrad ist trotz
aller unserer Bemühungen bei weitem noch nicht gesichert. Aber wir
dürfen nicht ganz Südosteuropa in diesen Topf werfen. Vor allem
aber sollten wir nicht immer nur auf das halbleere Glas starren, sondern
die positiven Entwicklungen stärker herausstellen, große und
kleine, den demokratischen Umschwung in Kroatien ebenso wie die Einigung
auf eine Donaubrücke zwischen Rumänien und Bulgarien, und sie
als Ansporn für neues Engagement nehmen.
Positive Entwicklungen in Südosteuropa machen in den meisten Fällen
keine Schlagzeilen. Jeder Zwischenfall in Pristina, jeder tote Fisch in
der Theiss, ist den westlichen Medien im Zweifel eher eine Schlagzeile
wert als das Zustandekommen von über 40 Städtepartnerschaften
mit konkreten Hilfsprogrammen für oppositionsregierte serbische Städte.
Solche Beispiele sind Legion.
Wir müssen diese Kommunikation umdrehen. Wir müssen weg vom
Klischee des Balkan als Hort für Konflikte und Instabilität.
Hin zu einem Bild von Südosteuropa, das die Gespenster des Balkan
bannt, hin zur Vision vom künftigem Boom Town Europas. Wir müssen
klar machen, daß die Europäisierung der Region in unserem ureigenen
Interesse liegt. Wenn wir scheitern, droht zum wiederholten Male die Balkanisierung
der europaischen Politik.
Für uns heißt das zuallererst: Wir müssen selbst vom
Erfolg unserer Anstrengungen überzeugt sein. Das gilt für diejenigen,
die für die notwendigen Reformen in den Ländern der Region verantwortlich
sind, ebenso wie für die internationale Gemeinschaft, die sich zur
Unterstützung dieses Prozesses verpflichtet hat. Nur so setzen wir
die notwendige positive Dynamik ingang und überzeugen auch die, die
zweifelnd abseits stehen, darunter die veröffentlichte Meinung.
Jeder erzielte Fortschritt, im großen wie im kleinen, sollte uns
daher Anlaß zur positiven Verstärkung sein. Zu einer Kommunikation
nach dem Schneeballeffekt, die lautet: "If we make it there, we can
make it anywhere." Das ist meine Devise, für die ich Nachahmer
suche. Bitte helfen Sie mit..
Meine Damen und Herren,
Der Stabilitätspakt ist Koordinierungsrahmen. Er hat ein klares
politisches Konzept. Seine katalytische und antreibende Wirkung ist bewiesen.
Die Befürchtung, es gäbe Doppelarbeit oder gar Rivalität,
ist widerlegt. Er ist aus dem Stadium der Grundsatzdebatte längst
hinaus. Seine Strukturen sind breit und integrativ. Alle Mitspieler sollen
sich einbringen können. Allerdings ändern sich schlechte Gewohnheiten
nicht über Nacht. Statt anzupacken und mitzuhelfen, empfinden sich
noch einige als Zuschauer und Besserwisser. Altes Denken muß aber
auf beiden Seiten überwunden werden.
Früher hatte jedes Land Südosteuropas einen großen Bruder
draußen, und die meisten Länder Europas einen bevorzugten Lieblingspartner
auf dem Balkan. Das war Ursache für viele Konflikte, manchmal sogar
Stellvertreterkriege, oder der Grund dafür, daß Konflikte des
Balkans Kriegsursachen in Europa waren. Der Stabilitätspakt ist die
politische Antwort auf dieses überkommene Politikkonzept des 19.
Jahrhunderts. Er hat eine positive Aufwärtsspirale gegenseitigen
Vertrauens und praktischer Schritte in Gang gesetzt. Aber noch sind beide
Seiten mißtrauisch bedacht, daß auch die andere Seite liefert,
vertrauensbildende Zeichen setzt und die Konditionalität fair ist.
Der Stabilitätspakt hat gleichzeitig entgegen den Unkenrufen vieler
Skeptiker schon eine Menge erreicht:
- Ein Jahr, nachdem Bernard Kouchner zu Ihnen gesprochen hat, bleibt
das Thema Südosteuropa auf der politischen Tagesordnung. Das ist
ein Erfolg und nicht selbstverständlich, denn die Medien sind weitergezogen.
Vom Kosovo nach Tschetschenien, dann nach Ost-Timor, und jetzt sind sie
in Sierra Leone und am Horn von Afrika.
- Die regionale Zusammenarbeit in Südosteuropa ist so gut wie nie
zuvor. Ich erinnere an die Charta über gutnachbarliche Beziehungen,
die die Länder im Februar diesen Jahres geschlossen haben. Brücken
werden gebaut, im politischen und wörtlichen Sinne. Zunehmend ist
die Reformbereitschaft mehr als ein Lippenbekenntnis. In den letzten Wochen
gab es nicht nur in Kroatien wichtige Gesetzesinitiativen.
- Die materielle Unterstützung bei der Finanzkonferenz mit 2,4 Mrd.
Euro für das Quick-Start-Paket hat jede Erwartung übertroffen.
Die Finanzkonditionen, das Verhältnis zwischen Kredit und Zuschuß,
sind so gut wie nie zuvor. Der Ansatz des Stabilitätspaktes, bei
den Geberländern nicht nach Geld, sondern nach der Unterstützung
ausgereifter, von Ländern der Region vorgeschlagener Projekte zu
fragen, war erfolgreich.
- Das für den Stabilitätspakt Südosteuropa entwickelte
wirtschaftliche Globalkonzept der Weltbank, die EBRD-Strategie für
kleinere und mittlere Unternehmen, das regionale Infrastrukturkonzept
der EIB sind exzellent. Zusammen mit der von uns entwickelten Investitionscharta
und der Anti-Korruptionsinitiative sind sie präzise Richtschnur für
eine erfolgversprechende Aufbauarbeit.
- Es herrscht Aufbruchstimmung in Südosteuropa. Die positive Zukunftshoffnung
ist eng verknüpft mit dem Wunsch nach der Perspektive einer schrittweisen
Integration in die euro-atlantischen Strukturen. Ich werde weiterhin Anwalt
der Länder Südosteuropas bei diesem Anliegen sein, ebenso wie
ich in diesen Ländern massiv die Forderung nach durchgreifenden Reformen,
regionaler Kooperation und individueller Erfüllung der jeweiligen
Aufnahmebedingungen vertrete.
- Die EBRD stellt fest, und ich habe gute Beispiele, daß durch
den Stabilitätspakt das Interesse der Investoren an Südosteuropa
wächst. Anfang letzter Woche habe ich das selbst in Japan gehört.
Die Mobilisierung privaten Kapitals und privaten Engagements ist jetzt
Arbeitsschwerpunkt des Stabilitätspaktes.
Das sind einige gute Nachrichten, die die Region so dringend braucht.
Für die eigene Motivation, aber auch zum Anlocken von Investoren.
Der Ball liegt jetzt in unserem Spielfeld. Mein Balkan ist die Bürokratie.
Die Aufgabe lautet, dem politischen Wollen auch Taten folgen zu lassen.
Die Arbeitsstruktur des Stabilitätspaktes wird deshalb bis auf weiteres
keine Projektideen mehr entwickeln, sondern schwerpunktmäßig
das Monitoring der beschlossenen Projekte betreiben. Ich werde deutlich
sagen, an wem es liegt, wenn es zu unnötigen Verzögerungen kommt.
Das Quick-Start-Paket der Finanzkonferenz, also der Beginn beschlossener
und finanzierter Projekte in 12 Monaten, ist eine Kampfansage gegen Langsamkeit
und Bürokratie. Beide sind mächtige Gegner. Der Eindruck aber,
daß wir uns zwar relativ schnell auf gemeinsame militärische
Aktionen einigen können, wenn es sein muß, aber daß der
politische Konsens Papier bleibt, wäre verheerend. Ich fordere produktive
Ungeduld. Projekte müssen jetzt Baustellen werden. Ich bin deshalb
froh, in meinem Kampf auch mächtige Verbündete wie den Hohen
Repräsentanten Solana und Komissar Patten zu haben. Dieser bekämpft
jetzt energisch den Rückstau bei der Auszahlung der EU-Hilfen. Auch
die Außenminister der Stabilitätspaktpartner werde ich noch
um die Durchschlagung manches gordischen Knotens bitten müssen.
Wie wir diese große Herausforderung meistern, wird von allen sehr
genau beobachtet. Sind wir mit der existierenden Bürokratie und ihren
Spielregeln in angemessener Zeit handlungsfähig? Ich höre z.B.,
die Weltbankprozeduren lassen die schnelle Implementierung des NATO-Umschulungsprojekts
in Bulgarien und Rumänien fraglich erscheinen. Das will und kann
ich - mit Ihrer Hilfe und Einfluß in den Weltbank-Gremien - nicht
zulassen. Noch tun sich die großen Institutionen schwer mit dem
Gedanken, daß ihr Handeln beobachtet wird. Sie müssen gedrängt
werden, genaue, prüfbare Zeitpläne für die einzelnen beschlossenen
Projekte vorzulegen.
Meine Damen und Herren,
Ohne die Lösung der elementaren Sicherheitsfragen wird es keine
dauerhafte Stabilisierung Südosteuropas, keine Integration in die
europäischen und atlantischen Institutionen geben. Unsere gemeinsamen
Anstrengungen müssen sich deshalb darauf konzentrieren, eine präventive
und durch Kooperation geprägte Sicherheitskultur aufzubauen. Die
Konflikte der Vergangenheit müssen uns Mahnung und Motivation sein.
Ich bin NATO und EAPR dankbar für ihre starken Beiträge zur
sicherheitspolitischen Stabilisierung der Region. Jedes erfolgreiche Projekt,
jede abgeschlossene Vereinbarung Im Rahmen des Stabilitätspakts kann
potentiell Beispielfunktion im EAPR-Raum auch außerhalb Südosteuropas
entfalten. Eine nachhaltige Stabilisierung Südosteuropas wird auch
auf die Nachbarregionen ausstrahlen.
Und vielleicht kann angesichts der großen Herausforderungen in
Südosteuropa mein bereits erwähntes Motto ansteckend wirken:
"If we make it there, we can make it anywhere." Lassen Sie uns
gemeinsam daran arbeiten, die Einigung eines friedlichen und demokratischen
Europas weiter voranzutreiben.

|