8. Dezember
1998

Brssel

Rede des Bundesministers

des Auswrtigen Joschka Fischer

Sitzung des NATO-Rats auf
Auenministerebene zu 19 am

Die Bundesregierung betrachtet das Atlantische Bndnis als unverzichtbares Instrument fr die Stabilitt und Sicherheit Europas sowie fr den Aufbau einer dauerhaften europischen Friedensordnung. Die durch die Allianz gewhrleistete Mitwirkung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Prsenz in Europa bleiben Voraussetzungen fr Sicherheit auf dem Kontinent. Dies mchte ich gegenber allen Verbndeten deutlich erklren.

Solidaritt unter Verbndeten hat den friedlichen Wandel in Europa mglich gemacht. Die Angebote des Bndnisses an die Gegner von einst, wie sie im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat und in der Partnerschaft fr den Frieden, im NATO-Russland-Rat und in der NATO-Ukraine-Kommission zum Ausdruck gekommen sind, wurden angenommen.

Die Welt Ende der 80-er, Anfang der 90-er Jahre stand noch im Schatten des Ost-West-Gegensatzes. Die Lage heute ist eine wesentlich andere. Eine der besonderen Qualitten des Bndnisses war es stets, sich flexibel auf neue Lagen einzustellen. So wie die NATO 1990 mit dem Ende der Teilung Deutschlands und damit Europas Antworten auf die neuen Herausforderungen gesucht und gefunden hat - die Partnerschaft mit den Staaten Mittel- und Osteuropas habe ich bereits erwhnt -, so sollten wir uns auch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert fragen, ob unser Instrumentarium noch zum genderten sicherheitspolitischen Umfeld passt.

Dass die NATO sich in der Vergangenheit keine Denkverbote auferlegt hat, war ihre Strke und sollte es bleiben. Deshalb mssen wir offen ber alle im Bndnis anstehenden Fragen im bewhrten partnerschaftlichen Geist sprechen.

Lassen Sie mich jetzt zu einigen aktuellen Fragen Stellung nehmen, die fr unsere heutige Sitzung von Bedeutung sind.

Bosnien und Herzegowina:

Trotz intensiver Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, ist es bisher noch nicht gelungen, in Bosnien selbsttragende Stabilitt oder gar wirklichen Frieden zu erreichen. Im Interesse einer wirklich verankerten multiethnischen Demokratisierung, die zur Rckkehr der Flchtlinge und Vertriebenen in ihre Wohnorte fhrt, mu die internationale Gemeinschaft deshalb auch weiter engagiert bleiben. Hinsichtlich der innerbosnischen Flchtlingsrckkehr liegen wir noch weit hinter unseren Zielen zurck. Der Verbleib der SFOR-Truppen in Bosnien wird deshalb lngerfristig erforderlich sein. Wir stimmen SACEUR darin zu, dass eine SFOR-Truppenreduzierung verfrht wre, aber das Rationalisierungspotential bei der Truppenstrke muss genutzt werden. Am Ende des Prozesses muss gewhrleistet sein, dass lokale Behrden und zivile Implementierungstrger die Verantwortung in steigendem Mae bernehmen.

Die umfassende Mitwirkung von Partnern, die Beteiligung Russlands an SFOR wird auch in Zukunft fr die NATO wichtig bleiben. Sicherheitskooperation wird fr die beteiligten Nationen dadurch tglich erlebbar. Ihr Funktionieren ist zugleich das Signal an andere, dass ein gemeinsames europisches Interesse an friedlichen Lsungen von Konflikten vorhanden ist und in praktisches Zusammenwirken mndet.

Kosovo:

Die Ursachen fr die Spannungen im Kosovo sind mit denen in Bosnien weitgehend vergleichbar: Nationalismus, Mangel an Toleranz und Demokratie, interethnische Spannun-gen. Auch hier wurde ein Engagement der internationalen Gemeinschaft zwingend, um eine humanitre Katastrophe und Krieg abzuwenden. Der Sicherheitsrat hat die Gefhr-dung des Friedens in der Region festgestellt, war sich aber nicht ber das weitere Vorge-hen einig. Dank der glaubwrdigen Drohung der NATO ist es gelungen, beide Konfliktpar-teien, insbesondere Belgrad, zu einem Verhalten zu bewegen, das eine politische Lsung des Kosovo-Konflikts zwar immer noch nicht garantiert, wohl aber zumindest mglich erscheinen lt. Das damalige Handeln des Bndnisses stellte eine Ausnahmesituation dar und keinen Regelfall. Dieses Verhltnis von Regel und Ausnahme sollte unseres Erachtens auch die zuknftige Strategiediskussion, die in Washington abgeschlossen werden soll, leiten. Die Bemhungen von Botschafter Hill erffnen in den nchsten drei oder vier Monaten die Chance einer politischen Lsung.

Jetzt bedarf es eines schnellen Aufwuchses der Kosovo-Verifikationsmission der OSZE, um die Lageberuhigung abzusichern. Deutschland ist sich seiner Verantwortung als Kontaktgruppenstaat fr jeden Schritt hin zu einer Lsung bewusst. Die Sicherheit der OSZE-Verifikateure mu aber gewhrleistet sein, damit sie ihre Arbeit aufnehmen knnen. Unser Engagement an dieser NATO-gefhrten Operation ist die logische Konsequenz unserer Teilnahme an der OSZE-Mission. Bei der berwachung der weiteren Entwicklung im Kosovo werden OSZE und NATO sich gegenseitig ergnzen. Deutschland hat die Entscheidung fr die Mitwirkung an den Stabilisierungsbemhungen im Kosovo in einer schwierigen bergangssituation zwischen der Bundestagswahl und der Bildung der neuen Regierung getroffen und dabei bewiesen, da es auch unter ungewhnlichen Rahmenbedingungen im Interesse der Bndnissolidaritt voll handlungsfhig war und ist.

Die Notfalltruppe (extraction force) erffnet noch eine weitere Perspektive: Wir hoffen, dass durch sie die OSZE-Mission unbehelligt ihre Aufgaben durchfhren und zur Vertrauensbildung im Kosovo beitragen kann. Darber hinaus weist die Kombination von OSZE-Bemhungen mit NATO-Schutzschirm im Rcken den Weg fr zuknftige Modelle der Krisenprvention, wenn diese kombinierte Mission ein Erfolg wird.

Interne Strukturanpassung (Reform der Kommandostrukturen):

Um den gewandelten Anforderungen gerecht zu werden, muss das Bndnis die richtigen Strukturen haben. Die Reform der Kommandostrukturen der NATO gehrt zum Kernbereich der Anpassung der Allianz. Darum mssen wir alles Notwendige tun, um planmig mit dem Beginn der Implementierung anfangen zu knnen.

ESVI:

Europa nimmt als politisches Subjekt Gestalt an. Auf der Basis der Berliner Beschlsse haben wir begonnen, eine europische Sicherheits- und Verteidigungsidentitt im Bndnis effektiv auszubauen. Der Vertrag von Amsterdam, der im ersten Halbjahr 1999 in Kraft treten soll, die Initiative von Prsident Chirac, die Denkanste von PM Blair und die Ergebnisse von St. Malo tragen dazu bei, die europische Handlungsfhigkeit auf diesem Gebiet in bereinstimmung mit dem Nordatlantischen Bndnis zu strken.

Auch whrend unserer WEU-Prsidentschaft im kommenden Halbjahr werden wir uns fr die Finalisierung der notwendigen Regelungen einsetzen, damit die WEU eigene Operationen unter Rckgriff auf NATO-Ressourcen durchfhren kann. ESVI im Bndnis wird erst dann glaubhaft sein, wenn wir Europer nicht nur bereit, sondern auch in der Lage sind, selbst mehr Verantwortung fr unsere Sicherheit zu bernehmen. Wie wir bei den Vorbereitungen fr die Aufstellung der Notfalltruppe fr die OSZE-Verifikateure im Kosovo sehen: Es geht darum, im gegenseitigen Einvernehmen die Bandbreite mglicher Aufgabenteilungen bei der Sicherung von Frieden und Stabilitt in Europa zu erweitern.

NATO-ffnung:

Der ffnungsprozess der NATO fhrt zu einem Mehr an Stabilitt und Frieden in Europa. Dies zeigt sich z.B. daran, da alte, seit langem schwelende nachbarschaftliche Konflikte pltzlich gelst werden knnen, weil die beteiligten Lnder Mitglied der Allianz und der EU werden wollen. Der Prozess der ffnung mu bedacht und sorgsam fortgesetzt werden, damit das Bndnis diese stabilittsfrdernde Rolle auch weiterhin spielen kann. Mit dem Ende des Kalten Krieges stehen wir vor der Aufgabe, wie wir den westeuropischen Einigungsprozess in eine Entwicklung berfhren, die Gesamteuropa zusammenbringt. Wir haben uns dieser Aufgabe bislang erfolgreich gestellt. Mit Blick auf den Gipfel in Washington sollten wir uns jetzt ber die Fortsetzung des Prozesses Klarheit verschaffen. Natrlich kann es uns dabei jetzt nur um die wesentlichen Eckdaten gehen. Fr die nicht bereits in Washington zum Beitritt Eingeladenen gilt gleichermaen: die Tr bleibt auch fr sie offen!

Wir brauchen deshalb ein Manahmenpaket, das den Namen Madrid plus" verdient und Beitrittskandidaten die Mglichkeit bietet, sich auf der Basis der Selbstdifferenzierung dem Bndnis weiter anzunhern und sich auf eine eventuelle Mitgliedschaft effektiv vorzubereiten.

Konventionelle Rstungskontrolle:

Konventionelle Rstungskontrolle bleibt auch zuknftig eine Kernfrage europischer Sicherheitsgestaltung. Europa mu auf einem Niveau hherer konventioneller Stabilitt in das 21. Jahrhundert eintreten. In der neuen europischen Sicherheitslandschaft darf sich kein Staat potentiell bedroht fhlen. Deshalb mssen die Bestnde an schweren Waffen weiter gesenkt werden. Aber dies reicht allein nicht aus. Es mu verhindert werden, da die verbleibenden Bestnde destabilisierend konzentriert werden knnen. Ich begre daher, da wir uns heute in einer Erklrung zu 19 ber einige Kernfragen der KSE-Anpassung gerade hierzu bekennen.

Fazit:

Auf der Basis ihrer Erfolge whrend der vergangenen 50 Jahre wird die Allianz an der Schwelle zum nchsten Jahrhundert den Blick in die Zukunft richten. Der Gipfel in Washington wird Orientierungen geben mssen, wie diese NATO die Fragen der Zukunft beantwortet. Kooperation, Transparenz und Vertrauen sind die Ecksteine einer zuknftigen gesamteuropischen Sicherheitsarchitektur, in der NATO, WEU, EU, und OSZE sich gegenseitig ergnzen.


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